Wien 1., Stadtspaziergang (Teil 7)


Wien ist auch bei Nacht schön. Ein Beispiel mag der Stephansdom geben, der hier abgebildet ist. Unsere nächste Stadtwanderung werden wir aber trotzdem untertags durchführen - doch bevor wir damit beginnen, machen wir einen kurzen Abstecher in die Kirche hinein. Es ist nicht meine Absicht, über die Sehenswürdigkeiten der Kirche zu erzählen, dazu könnte man ein ganzes Buch schreiben. Aber ein wenig Hintergrund zu diesem einhundertsechsunddreißig Meter hohen Wahrzeichen Wiens, in der Mitte der Stadt gelegen, schadet sicher nicht.
Im zwölften Jahrhundert unterstand die Markgrafschaft Österreich noch dem Bistum in Passau. Im Jahr 1137 verhandelte Markgraf Leopold IV daher mit dem Passauer Bischof, um am heutigen Stephansplatz eine Kirche errichten zu dürfen. Das ist insofern interessant, weil sein Bruder, Heinrich II, vier Jahre später die Residenz von Klosterneuburg nach Wien verlegte. Gab es also schon früher Pläne der Babenberger, die Hauptstadt weiter nach Osten zu verlegen?
Ein interessantes Detail: die Ostung (= Ausrichtung nach Osten) der Kirche ist auf den Sonnenaufgang des 26. Dezembers (St. Stephan) 1137 durchgeführt worden. Geweiht wurde die Kirche erst 10 Jahre später.
Knappe hundert Jahre später, zwischen 1230 und 1245 wurde am selben Platz eine neue romanische Kirche gebaut, von der die Westfassade mit dem Riesentor und den beiden Westtürmen (Heidentürme genannt) heute noch erhalten ist. Diese Kirche wurde 1263 geweiht. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde der Chor erheblich vergrößert, jetzt allerding schon in gotischem Stil. Noch im selben Jahrhundert, 1359 wurden das Langhaus und die Seitenschiffe vergrößert und ebenfalls im gotischen Stil neu erbaut. 1433 wurde der Südturm vollendet und der Stephansdom war eine Zeit lang das höchste Gebäude Europas. Dennoch dauerte es noch bis 1469, ehe Wien zum Bistum und der Stephansdom zur Kathedrale erhoben wurden.
1683, unter der Türkenbelagerung Wiens, wurde die Kirche von türkischen Kanonenkugeln beschädigt.
Nach der Befreiung Wiens goss man aus diesen Kanonenkugeln die große Glocke, Pummerin genannt, die heute - neu gegossen, weil sie im Zweiten Weltkrieg wieder zerstört wurde - im (unvollendeten) Nordturm hängt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die obersten vierzig Meter des Südturms neu erbaut, weil sich die Spitze nach Norden neigte.
Der Platz vor dem Dom heißt logischerweise Stephansplatz und ist heutzutage ein Sammlungspunkt für Touristen. Das hervortretende Haus (teilweise verglast) wird Haas-Haus genannt und war ursprünglich ganz in dunkelblau verglast. Die Meinungen darüber gingen sehr auseinander, aber anscheinend haben die Gegner die Oberhand behalten, denn heute hat man das Haus umgestaltet. Dadurch ist natürlich ein Teil des Effekts verloren gegangen, denn in der alten Glasfassade spiegelte sich der Dom vorbildlich. Andererseits passt sich das Haus heute wirklich seiner Umgebung besser an.
Gleich hinter dem Haas-Haus um die Ecke befindet sich ein Abgang zur U-Bahn. Wir machen einen kurzen Abstecher hinunter und finden dort unseren Weg zur Virgil-Kapelle, die einer kulturhistorischen Sensation gleicht. Als man 1973 die U-Bahn baute, stieß man auf diese unterirdische Kapelle aus der Zeit von etwa 1250. Sie lag damals direkt unter der Magdalenenkapelle, die - freistehend von der Stephanskirche - als Begräbniskapelle diente. Wozu die Virgilkapelle benützt werden sollte, ist jedoch nicht ganz klar. Wenn Sie gute Augen haben, sehen sie auf dem Bild die Umrisse des bestrahlten Andreaskreuzes. Außerdem hatte man einen Altar für den heiligen Virgil eingerichtet.
Auf dem Pflaster des Stephansplatzes sind die Umrisse der beiden Kapellen übrigens durch Linien angedeutet, aber durch den Touristenstrom nicht leicht auszumachen. Wir kehren ans Tageslicht zurück und wenden uns dem gegenüberliegenden Haus zu.
Das Haus an der Ecke der Kärntner Straße und dem Graben ist das Palais Equitable, benannt nach der Lebensversicherungsgesellschaft aus New York, die das Haus gegen Ende des 19. Jahrhunderts dort erbauen ließ. Heute befinden sich verschiedene Firmen und Organisationen in dem Haus.
Über dem Portal zeigt eine Plastik die Abmachung des Schlosserlehrlings mit dem Teufel, im Anklang an die Sage des "Stock im Eisen".
An der Ecke des Hauses ist eine runde Verglasung angebracht, hinter der sich ein Baumstamm befindet. In diesem Baumstamm sind viele Nägel eingeschlagen ...
Der Brauch war, dass ein Handwerksbursche, bevor er auf Wanderschaft ging, in diesen Stock einen Nagel einschlug, um auf diese Art zu versichern, dass er wiederkehren würde. Im Jahr 1533 wurde dieser Stock erstmals geschichtlich erwähnt, aber man weiß, dass viele Nägel älter sind. Die Fichte, von der das Holz stammt, begann um das Jahr 1400 zu wachsen und wurde um 1440 gefällt. Damals gab es schon Nägel, die in den noch lebenden Baum hineingetrieben worden waren. Der letzte Nagel soll 1832 eingeschlagen worden sein.
Es gibt eine Sage rund um den Stock im Eisen, die sie hier nachlesen können. Aber es gibt auch eine wahre Geschichte: Als Wien im Zweiten Weltkrieg von Deutschland "angeschlossen" wurde, hatte man vor, den Stock im Eisen in eine Schlosserwerkstatt in Frankfurt am Main zu bringen.
Kurz bevor man das bewerkstelligen konnte, war der Stock im Eisen verschwunden und tauchte erst plötzlich wieder auf, als der Krieg beendet war.

Wir gehen jetzt rechter Hand den Graben entlang, aber nur bis zur nächsten Quergasse, der Dorotheergasse, in die wir einbiegen. Hier sehen wir links das ursprüngliche Lokal, das Frantisek Trzesniewski aus Krakau im Jahr 1902 gründete. Die Geschäftsidee ist einfach, aber genial. Man fabriziert kleingeschnittene Brötchen die mit diversen Zutaten oder Aufstrichen versehen werden. Es gibt 22 verschiedene Sorten, sodass jeder seine bevorzugte Mahlzeit selbst zusammenstellen kann.
Gleich daneben befindet sich das Graben Hotel, in dem solche Berühmtheiten wie Franz Kafka oder Peter Altenberg gewohnt haben.

Gegenüber vom Hotel gibt es ein Kaffehaus, aber das ist nicht irgendein Café sondern nahezu eine Institution. Leopold und Josefine Hawelka eröffneten das Café Hawelka schon 1939 und betrieben es mit persönlichem Charm. Die Büsten von den beiden stehen heute im Lokal und verewigen sie. Für die Besucher war die Betreuung durch die Eheleute mindestens ebenso wichtig wie das Café selbst. Josefine verstarb 92jährig im Jahr 2005, Leopold überlebte sie um sieben Jahre und starb im Alter von 101 Jahren.
Die Einrichtung ist von Anfang an bis heute unverändert geblieben.
Sie wurde ursprünglich von einem Schüler des Jugendstilarchitekten Adolf Loos konzipiert. Das einzige Zugeständnis an modernere Zeiten war eine Espressomaschine.
Schon in den Fünfzigerjahren begann das Café zu einem Künstlertreff zu werden. Waren es anfangs hauptsächlich Literaten, kamen später immer mehr junge Maler dazu, wie zum Beispiel Friedensreich Hundertwasser, Ernst Fuchs oder Arik Brauer. Aber auch internationale Prominente zog es ins Hawelka. Peter Ustinov, Elias Canetti und Andy Warhol mögen hier stellvertretend für alle stehen.
Wir gehen ein Stück weiter und kommen am Palais Starhemberg vorbei. Die Starhembergs waren eine bekannte Adelsfamilie in Österreich. Der Wichtigste von ihnen war wohl Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg, der 1683 die Verteidigung Wiens leitete, als die Türken die Stadt belagerten. Er hatte knapp zwanzigtausend Mann, gegenüber der sechsfachen Anzahl der Gegner. Aber er hatte Hilfe von guten Stadtmauern ...
Er war der erste notierte Besitzer des Grundstücks, auf dem heute das Palais steht. Das Haus selbst wurde erst im 18. Jahrhundert erbaut.
Auf Nummer 17 finden wir das nächste interessante Gebäude, das Dorotheum. Das Haus wurde um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert im Barockstil neu erbaut. Aber schon seit 1707 gibt es in Wien ein Versatz- und Auktionshaus - damit ist es eines der ältesten der Welt. Auch heute ist es das größte Auktionshaus für Kunst und angewandte Kunst in Mitteleuropa und im deutschsprachigen Raum. Seit 1788 befindet es sich an dieser Stelle. Früher lag hier das Dorotheerkloster, das 1782 aufgelöst wurde. Das Pfandleihgeschäft ist auch ein wichtiger Einkommenszweig des Dorotheums.
Gleich daneben steht schon das nächste, erwähnenswerte Gebäude, nämlich die evangelische Kirche des Augsburger Bekenntnisses. Sie befindet sich hier seit 1783. Es ist interessant, den Einfluss von Kaiser Joseph II heute noch zu sehen, als er durch sein Toleranzedikt für mehr Religionsfreiheit eintrat. Aber obwohl er seiner Zeit weit voraus war, nahm ihm der Großteil der Bevölkerung seine Reformen übel.
Das an dieser Stelle befindliche Königinnenkloster war von Königin Elisabeth, Tochter von Kaiser Maximilian II und Witwe nach dem französischen König Karl IX im Jahr 1581 gegründet worden. Doch war dies das erste Kloster, das unter Joseph II geschlossen wurde. Die evangelische Gemeinde kaufte Haus und Grund und errichtete ihre Kirche. Eine Einschränkung war jedoch, dass die Kirche keinen Turm haben durfte und dass sich der Eingang an der Hinterseite befinden musste. Das Haus erhielt im Jahr 1907 seine klassizistische Fassade.
Wir brauchen nur auf die andere Straßenseite zu sehen, um die nächste evangelische Kirche zu betrachten, diesmal des Helvetischen Bekenntnisses. Das sind die Glaubensrichtungen, die von unter anderen Calvin und Zwingli verbreitet wurden.
Auch diese Fassade wurde schon 1887 neu gestaltet, als man dem Gebäude auch einen Turm aufsetzte. Das war möglich, nachdem Kaiser Franz Joseph im Jahr 1861 neuerliche Erleichterungen zugestanden hatte. Es dauerte aber nocheinmal genau hundert Jahre, bevor das Protestantengesetz die evangelischen Kirchen mit der römisch-katholischen völlig gleich stellte.
Nach der Kirche biegen wir rechts in die Stallburggasse ein. Sie heißt natürlich so, weil früher die Hofstallungen hier zu finden waren. Auch heute noch wird das Gebäude links, an dem wir vorbeigehen, als Pferdestall verwendet, doch für die Lippizaner, die weißen Pferde der Spanischen Hofreitschule.
Wir lassen die Spanische Hofreitschule links liegen und gehen durch das große Tor in dem gelben Haus, das gerade vor uns liegt. Auf der anderen Seite des Innenhofes kommer wir wieder heraus und stehen plötzlich auf dem Michaelerplatz. Der Platz hat seinen Namen nach der Kirche, deren Turm Sie auf dem Bild sehen. Für eine Betrachtung des Inneren der Michaelerkirche, klicken Sie bitte diesen Link an.
Wir bleiben eine Weile auf dem Michaelerplatz stehen, denn da gibt es noch viel zu sehen. Hier ist der stadtseitige Eingang zur Hofburg, aber die Hofburg werden wir bei der neunten Stadtwanderung genauer betrachten. Ein Detailbild von der Kuppel muss hier genügen.
1990 machte man bei Reparationsarbeiten eine großartige Entdeckung. Man fand Reste der Vorstadt des römischen Heerlagers Vindobona, der sogenannten Canabae. Die Canabae war eine zivile Wohnstätte.
Bis ins dritte Jahrhundert war es den römischen Legionären untersagt zu heiraten. Also musste man andere Lösungen finden. Da die Frauen nicht ins Heerlager kommen konnten, die Männer aber in ihrer Freizeit dieses verlassen durften, entstanden solche Vorstädte, wo die Frauen und eventuell auch die Kinder ihre Wohnstätten hatten. Dort gab es auch Einkaufsmöglichkeiten, Schankräume und nicht zuletzt Bordelle.
Außer den Resten aus römischer Zeit konnte man auch eine mittelalterliche Mauer und das Fundament eines Barockhauses freilegen. Die Ausgrabungen dienen heute als Freilichtmuseum, um die Geschichte des Michaelerplatzes zu zeigen.
Hier steht auch das "Haus ohne Augenbrauen". Es wurde vom Volksmund so genannt, weil die Fenster keinerlei Verzierung aufweisen. Auch der Kaiser soll sich negativ darüber ausgesprochen haben. Erbaut wurde das Haus in den Jahren 1909 bis 1912 von Adolf Loos. Er wurde jedoch auch von seinen Kollegen angefeindet und versprach schließlich, unter einigen Fenstern Blumenkisten zu arrangieren.
Adolf Loos wurde in Brünn geboren, hatte aber von Kind auf Schwierigkeiten sich anzupassen. Wegen seines schlechten Betragens musste er oft die Schule wechseln. Schließlich hatte er auch eine Verurteilung wegen Verführung Minderjähriger zu Buche stehen. Die Frage erhebt sich, ob sein Haus eine weitere gewollte Provokation war, oder ob er tatsächlich davon überzeugt war, dass "Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten im Sinne menschlicher Kraftersparnis ein Zeichen hoher Kulturentwicklung seien".
Am Michaelerplatz sei dann auch noch das Café Griensteidl erwähnt, das an der Front des Dreieckshauses zwischen der Hofburg links und dem Loos-Haus zu finden ist. Heinrich Griensteidl eröffnete es 1847 und es entwickelte sich bald zu einem Treffpunkt Intellektueller. Vor allen Dingen waren es Literaten, die hier ihr zweites Zuhause fanden. Arthur Schnitzler, Hugo von Hoffmansthal und nicht zuletzt Karl Kraus sind die hervorstechendsten Namen. 1897 wurde das Café abgerissen, aber 1990 sollte es am selben Platz wieder auferstehen.
Wir gehen nun ein Stück am Kohlmarkt entlang. Dieser hat seinen Namen von der Holzkohle, die früher hier verkauft wurde. Das Portal der Buchhandlung Manz ist auch ein Werk von Adolf Loos.
Gleich daneben finden wir den K. und K. Hofzuckerbäcker Demel. Das Geschäft wurde schon 1786 gegründet, aber erst knappe hundert Jahre später erwarb der damalige Geselle Christoph Demel den wohlgehenden Betrieb. International gesehen hat wohl das Sacher - mit seiner Torte - größere Berühmtheit errungen, dem Wiener ist der Demel aber ebenso bekannt.

© Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden, 2014


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