Wien 1., Stadtspaziergang (Teil 1)


Schuld ist Frau Henriette Mandl. Sie hat ein Buch über die Wiener Altstadt geschrieben und dieses Buch in verschiedene Spaziergänge eingeteilt. Auf diesen Wanderungen macht sie auf Kleinigkeiten aufmerksam, an denen man sonst achtlos vorbeigeht. Sie erzählt auch Geschichten über die Häuser und die Leute, die darin gewohnt haben. Ich wurde neugierig - und bei meinem nächsten Wienbesuch machte ich so einen Spaziergang ... Kommen Sie doch mit!

Die U-Bahn bringt uns zum Herzen der Stadt, dem Stephansplatz. Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg durch den Trubel, vorbei an Straßenmusikanten und Konzertverkäufern in altertümlichen Gewändern. Klar, hierher kommt jeder Wientourist früher oder später - das ist gut für das Geschäft.
Wir gehen an der Jasomirgott-Straße vorbei, die nach Herzog Heinrich II benannt ist, der seine Residenz nach Wien verlegt und erreicht hatte, dass man Österreich zum Herzogtum erhob. Außerdem war er der Auftraggeber zum Bau des Stephansdomes, daher gebührt ihm wenigstens diese kleine Straße. Aber wir wollen zur nächsten Straße, der Brandstätte.

In der Brandstätte hat, ihrem Namen nach zu schließen, ein großes Feuer gewütet. Es ist nicht das von 1945, das kurz vor Kriegsende auch den Stephansdom verwüstete. Die Experten sind sich nicht einig, ob es das Feuer von 1276 war - auch damals wurde die Kirche angegriffen - oder das von 1327 - aber das spielt uns heute vielleicht auch keine größere Rolle. Wir wissen, dass im mittelalterlichen Wien bis knapp vor 1500 hier ein offener Platz war, auf dem am Faschingsdienstag Turniere ausgetragen wurden. Sonst waren hier Verkaufsstände und Wechselbuden zu finden.
An der nächsten Ecke rechts steht das Zacherlhaus. Es wird heute das erste "moderne" Haus in der Innenstadt genannt, wegen seiner grauen, glänzenden Granitplatten in der Fassade. Bauherr war 1905 der Industrielle Johann Zacherl, der Sohn des gleichnamigen Vaters, der mit seinem Mottenpulver ein Vermögen gemacht hatte. Im Stiegenhaus spielen insektenartige Leuchtkörper darauf an.
Geplant wurde das Haus von einem Schüler Otto Wagners, nämlich Josef Plecnik. Heute dient es als Bürohaus.
An der Fassade sieht man eine Figur, die heute vom Abgasruss und dem Großstadtstaub übel mitgenommen aussieht. Beim näheren Hinsehen erkennt man jedoch den Erzengel Michael mit dem Flammenschwert. In der christlichen Religion war er es, der den Teufel in die Hölle stürzte. Ferner ist er der Begleiter der Seelen ins Jenseits. Michael wird aber auch im alten Testament (Judentum) und im Koran (Islam) erwähnt.
Die Statue wurde von Ferdinand Andri erschaffen, einem Mitglied der Wiener Secession, deren Präsident er in den Jahren 1905-06 war.
Auch das nächste Haus, Brandstätte 8, hat Geschichte. Besser gesagt, das Haus das früher hier stand, denn das jetztige wurde 1906 erbaut, wie ein Mosaik an der Hauswand lesen lässt. Selbiges Mosaik zeigt auch ein Bild des alten Hauses und einen roten Igel.
Dieser bezieht sich auf den Gasthof zum Roten Igel, der hier belegen war. Das Lokal war eine Hochburg der Demokraten während der Oktoberrevolution 1848.
Hier sollen sich auch ein paar Jahrzehnte später die Komponisten Brahms und Bruckner begegnet sein, ohne miteinander Kontakt zu finden. So studierten sie lange die Speisekarte, um beschäftigt zu sein. Erst als Brahms schließlich beim Kellner "Knödel und ein Geselchtes" bestellte, schien Bruckner auf und meinte: "Sehen Sie, Herr Kollege, hier finden wir zusammen! Knödel und Geselchtes esse ich auch."

Wir biegen jetzt links ab und gehen über den Bauernmarkt, wo, wie der Name deutlich ausdrückt, bis ins 18. Jhd. Obst und Gemüse verkauft wurde. Auch der Name "Hühnerlücke" war geläufig, weil man hier auch Geflügel erstehen konnte. Wir nehmen schon die nächste Abzweigung rechts und biegen in die Freisingergasse ein.

Aber an der Ecke steht bereits das nächste Haus mit Geschichte. Hier wohnte der "Hofjude" Samuel Oppenheimer. Sein Leumund ist nicht ganz fleckenfrei. Zwar finanzierte er dem Staat die Türkenkriege, nicht zuletzt die Feldzüge, in denen Prinz Eugen die Türken über den Balkan zurücktrieb - viele meinen jedoch, dass er das mit den Mitteln Dritter finanzierte und daher eigentlich nur ein Spekulant war, der bis zu zwanzig Prozent Zinsen verlangte. Er wusste ja, dass die Kriegsbeute seine Ausgaben decken würde. Er half auch finanziell im Spanischen Erbfolgekrieg aus.
Aber wie dem auch sei - das Glück stand Oppenheimer nicht immer bei.
Teils wurde um 1700 sein Haus bei einem Aufruhr geplündert, teils war ihm der Staat bei seinem Tod im Jahr 1703 nicht weniger als sechs Millionen Gulden schuldig. Das löste man dadurch, dass man seine Firma in Konkurs setzte, was sich natürlich wieder auf seine Gläubiger auswirkte. Laut einigen Quellen soll sogar die Frankfurter Börse darunter gewesen sein.

An der Fassade des Hauses gibt es ein Relief, das um die Erlösung von der Pest bittet. Das Motiv des Reliefs ist die Verkündigung Marias.

Wir gehen nun die Freisingergasse entlang, bis wir auf den Petersplatz kommen. Auch hier war früher ein Markt und hier waren auch die Stadtölerer angesiedelt. Sie verkauften Öl für die Laternen der Stadt.

Kaiser Leopold I hatte 1688 verfügt, dass jeder Hausbesitzer für die Laterne verantwortlich war, die ihm die Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte. Sie sollte täglich gefüllt werden, damit sie abends angezündet werden konnte. Schon seit 1561 musste jeder, der nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs war, ein Licht mit sich tragen. Als Zeichen für den Anfang der Nacht galt das Läuten der Bierglocke, die auch verkündete, dass ab nun in den Gasthöfen kein Alkohol mehr verkauft werden durfte.

Das Haus Nummer 10 am Petersplatz hat eine grausige Geschichte. Es hieß einmal "zum Bauerntanz" und erinnerte an den Bauernaufstand von 1595. Dem Anführer der Bauern schlug man den Kopf ab und vielen anderen schnitt man Nasen und Ohren ab. Der Hausbesitzer wählte als Hauszeichen die verstümmelten Bauern, die in ihrer Not einen schrecklichen "Tanz" aufführten.
Später, und sogar bis 1967, waren hier Bäcker beheimatet.

Sie wurden auf Grund ihrer Lage "Peterbäcken" genannt. Auch Mozart hat hier sein Gebäck eingekauft, wie er in einem Brief erwähnte.

Gleich links daneben gibt es das Hotel Wandl, das einst, 1851, als Hotel Daum seine Pforten aufschlug. Es war damals eines der modernsten Hotels der Stadt und man ließ die Wiener gegen einen geringen Eintritt ins Haus, um alles zu bestaunen. Es sollen tatsächlich 4700 Neugierige gegeben haben ... Aber klar, damals gab es nicht so viele andere Attraktionen, wie heute.
Drei Jahre später kaufte Johan Wandl das Hotel und ließ später auch Badezimmer und Aufzüge einbauen, sodass es weiterhin den Prägel der Modernität behielt. Die Zimmerpreise heute? Ein Doppelzimmer 158 - 205 Euro pro Nacht.

Auf dem Petersplatz steht auch die Peterskirche, eine wunderschöne Barockkirche.

Ich habe sie, wegen der Vielfalt der Information, auf einer separaten Seite beschrieben. Aber ich empfehle Ihnen, den Link anzuklicken, denn die Kirche gehört unbedingt auch zu diesem Spaziergang.

Vom Haupteingang der Kirche sieht man durch die Jungferngasse auf den Graben.
Die Jungferngasse ist nicht länger als die Hausbreite auf dem Bild. Die Legende will, dass ein junger Mann des nachts gern auf einem Seil zum gegenüberliegenden Haus kletterte, um dort eine Jungfrau zu besuchen. Als ihn sein Vater einmal erwischte, fiel er vom Seil und brach sich das Genick.
Andere Theorien besagen, dass sie wegen ihrer früheren Enge ihren Namen bekam; wieder andere meinen, dass sie so heiße, weil es in der ganzen Gasse kein einziges Haustor gibt ...
Dagegen lohnt es durchaus, die Augen zum Dach dieses Hauses, Graben 21, zu erheben.
Hier stand übrigens früher ein Haus mit dem Namen "zum Hund im Korb". Im Jahr 1462 belagerten die Wiener Kaiser Friedrich III in der Hofburg und wollten ihn aushungern. Aber nicht alle waren gegen den Kaiser. Ein Schneidermeister Kronberger packte deshalb einen großen Korb voll mit Lebensmitteln und schlich in der Nacht zum Burggraben. Dort setzte er sich in den Korb und zog an der herabgelassenen Schnur, zum Zeichen, das man den Korb hochziehen solle.
Er war jedoch noch nicht einmal halbwegs oben, als die Wachen den Korb entdecken. Der Schneider kam nun auf die Idee, wie ein Hund zu bellen. Als die Wachen das hörten, senkten sie ihre Hakenbüchsen wieder und lachten. Wenn das Volk da drinnen in der Burg schon so hungrig war, dass sie sogar einen Hund essen würden, dann konnte die Belagerung ja nicht mehr so lange dauern ... Als dann alles vorbei war, schenkte der dankbare Kaiser dem Schneider das Haus an diesem Platz und der Schneider benannte es "zum Hund im Korb".

Wir aber gehen zurück zum Petersplatz und biegen hinter der Kirche in die schmale Kühfußgasse ein. Man weiß, dass es hier einmal ein Gasthaus gab, das "zum Kühfuß" hieß - aber die Bedeutung des Wortes ist heute verloren gegangen. Dagegen können wir im Zentrum Wiens oft noch die alte Straßenbeschilderung bewundern.

Von der Kühfußgasse kommen wir in die Tuchlauben, auf einen dreieckigen Platz, der, wie die Archäologen glauben, der älteste Marktplatz von Wien ist. Diese Dreicksform findet man nämlich vor dem Jahr 1000 recht allgemein für Marktplätze.
Auf der Tuchlauben waren jedenfalls seit dem 13. Jhd. die Tuchhändler zu Hause. Die Statue zeigt ganz richtig auch einen Mann, der Stoff abschneidet. Sie wurde von Oskar Thiede erschaffen. Errichtet wurde sie jedoch von "der Städtischen Versicherungsanstalt anlässlich ihres 30jährigen Bestandes - unter dem Bürgermeister Karl Seitz im Jahre 1928", wie ein Schild auf der Rückseite erklärt. Das Schild auf der Vorderseite besagt: "Von 1436 bis Ende des 18-Jahrhunderts stand hier der 'schöne Brunnen'". Dieser ist jedoch nicht mit dem "schönen Brunnen" in Schönbrunn zu verwechseln.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen wir das Weißwarengeschäft Gunkel.

Schneidermeister Joseph Gunkel gründete das Geschäft im Jahr 1796 und sein gleichnamiger Sohn machte es nicht nur zu Wiens führendem Modegeschäft, sondern erreichte internationalen Ruf. Er führte für den Adel den englischen Frack ein und erfand die Doubleröcke für die Damen.

Gleich daneben liegt die Apotheke zum weißen Storch. Das Hauszeichen gibt es noch immer und der Storch schaut schon ein wenig gelangweilt, aber nichts desto weniger stolz über die Tuchlauben.

Wir wollen eigentlich jetzt rechts in die Steindelgasse einbiegen, aber wir machen noch die paar Schritte vor zu Tuchlauben 5. Das aus zwei Gründen: erstens gibt es dort eine sehenswerte Madonnenstatue rechts über dem Tor. Man hatte sie im Zweiten Weltkrieg abmontiert und sicherheitshalber im Keller des Augustinerklosters untergebracht.

Das half nichts, denn auch der Keller wurde zerbombt. Aber die Statue wurde trotzdem nicht zerstört.
Das Haus, an dem die Statue angebracht ist, heißt Hochholzerhof, nach einem Fleischhauermeister, der schon im Jahr 1555 an dieser Stelle wohnte. Das Innere des Hauses ist heute vollständig neu gebaut und gehört einer Bank. Doch die Fassade ist von 1719, also fast 300 Jahre alt. Allein schon das Tor ist ein paar Extraschritte wert.
Wir gehen also zurück zur Steindelgasse und biegen dort ab. Rechter Hand sehen wir dann den Steindlwirt oder die Gösser Bierklinik im Haus zum gülden Drachen.
Auch den Bericht aus dem Gasthaus habe ich auf eine eigene Seite gelegt, um die Information ein wenig aufzuteilen. Holen Sie sich etwas zu trinken, machen Sie es sich gemütlich und machen Sie beim goldenen Drachen ein wenig Pause. Aber natürlich sollten Sie auch diesen Link anklicken - die Bierklinik gehört auch zu diesem Spaziergang.

Das Haus gleich neben der Bierklinik hat wieder eine Geschichte zu erzählen. Es hieß früher "zur goldenen Schlange" und war Mitte des 15. Jhd. im Besitz einer Frau Helene Kottanerin. Diese war Kammerzofe bei Elisabeth, der Gattin von Herzog Albrecht V von Österreich und späterem Kaiser Albrecht II. Als Albrecht im Jahr 1439 starb, war Gattin Elisabeth guter Hoffnung. Um ihrem Sprössling die ungarische Königskrone zu sichern, auf die auch der Polenkönig ein Auge geworfen hatte, bat Elisabeth ihre Kammerzofe nach Plintenburg (Visegrád) zu fahren und die Krone einfach zu stehlen. Frau Kottanerin gelang es nicht nur, diesen Auftrag auszuführen, sondern sie schrieb ihre Tat auch in allen Details in ihren "Denkwürdigkeiten" nieder.

Auch das nächste Haus ist interessant. Es handelt sich um das ehemalige Palais Obizzi, das 1690 erbaut wurde. Heute befindet sich im Erdgeschoß ein Uhrmacher. Das ist passend, weil sich in diesem Haus auch das Uhrenmuseum der Stadt Wien befindet.

Wieder habe ich die Besichtigung des Uhrmuseums auf eine eigene Seite gelegt, um den Bericht handlicher zu gestalten. Ich empfehle Ihnen aber wärmstens, auch diesem Link zu folgen.

Der Eingang zum Uhrenmuseum befindet sich schon auf dem Schulhof. Sein Name kommt entweder von den Jesuiten, die hier eine Schule betrieben, oder aus dem Jiddischen, da hier früher die Synagoge (jidd. = Schul) stand. Noch früher war hier ein Friedhof der Karmeliter.
Neben dem Uhrenmuseum gibt es gleich noch ein Museum, ein Puppenmuseum, aber ein Plakat am Tor verkündet, dass es geschlossen ist, ohne Angabe auf Wiedereröffnung. Aber wenn man schon nicht ins Museum hinein kann, kann man sich wenigstens an der Gestaltung des Tores ergötzen.

Um die Seite nicht zu überlasten, endet hier der erste Teil des Spazierganges.


© Bernhard Kauntz, Västerås, 2008


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Seite erstellt am 11.10.2008 by webmaster@werbeka.com