Die "Elektrische" -
Die Entwicklung der Straßenbahn in Wien


Zeitgenossen dieser Entwicklungsstufe, als die Straßenbahn elektrifiziert wurde, nannten sie auch "die Elektrische", ein Ausdruck, der für kommende Generationen aber wenig Sinn machte. In Wien dauerte es recht lange, bevor man zur Stromversorgung der Straßenbahn griff. Sowohl Baden bei Wien als auch Gmunden im Salzkammergut waren 1894 mit Stadtstraßenbahnen ein paar Jahre schneller als die Hauptstadt. Die älteste "Elektrische" in Österreich aber fuhr schon 1883 im Dauerbetrieb, nur 2 Jahre nach ihrer Erfindung, zwischen Mödling und Hinterbrühl.

In Wien dauerte es bis am 28. Jänner 1897, ehe die elektrische Straßenbahn ihre Premiere hatte. Andererseits verkehrt heute noch die Linie 5 nahezu unverändert auf dieser ersten Strecke. Damals hieß sie nördliche Transversallinie und ging vom Praterstern zur Wallgasse (beim Westbahnhof). Man hatte 30 Triebwagen zur Verfügung, in denen es je 2 Längsbänke mit je 10 Sitzplätzen gab und man fuhr mit der damals rasanten Geschwindigkeit von bis zu 15 Stundenkilometern durch die Stadt, was die Fahrtdauer gegenüber der Pferdestraßenbahn erheblich verkürzte. 5 Jahre später waren sämtliche Linien elektrifiziert.


Dieser Triebwagen wurde auf den Stand von 1901 restauriert und damals von der Grazer Waggonfabrik erbaut.
Waren es anfangs noch private Gesellschaften, die die Straßenbahnen betrieben, war die Gemeinde Wien bestrebt, den Betrieb zu übernehmen. 1903 hatten die "Städtischen Straßenbahnen" 70 km Gleisnetz, 945 Trieb- und 888 Beiwagen. Unter anderen Betreibern kann man die Kahlenberg-Gesellschaft erwähnen, die schon 1885 eine Konzession bekommen hatte, vom Schottenring nach Nußdorf zu fahren, um einen Anschluss zur dortigen Talstation der Zahnradbahn auf den Kahlenberg zu haben. Diese wurde bis 1921 geführt. Die Schleife des D-Wagens geht heute immer noch um das Gebäude der Talstation.

Die Elektrifizierung wurde aber sogar von höchster Stelle erschwert. Kaiser Franz Joseph wollte nicht, dass man weder die Ringstraße noch die Mariahilfer Straße mit Oberleitungen "verschandelte". Man versuchte es zunächst mit Akkubetrieb auf diesen Strecken, aber da klagten die Fahrgäste über die Säuredämpfe, die in die Wagen hochstiegen. Dann verlegte man die Stromabnehmer unterirdisch in die Schienen. Das war aber wieder sehr anfällig für Störungen und die Instandhaltung daher teuer.

Es ist klar, dass der Kaiser auf "seine" Ringstraße stolz gewesen sein muss, aber auf Dauer konnte auch er den Fortschritt nicht aufhalten. Seit 1915 fuhr man trotz seinem Veto auch dort mit Oberleitungen.

Doch schon vorher gab es einschneidende Veränderungen, die teilweise bis heute noch in Gebrauch sind. 1906 führte man blaue und rote Haltestellen ein, wobei bei den roten angehalten werden musste, während blaue Bedarfshaltestellen bezeichneten. Im Jahr darauf führte man die Linienbezeichnungen ein, die äußerst klug durchdacht sind und mehr oder weniger heute noch gelten. Linien, die mit einem Buchstaben bezeichnet sind, fahren einen Teil der Strecke am Ring (früher auch auf der Zweierlinie - in etwa der heutigen U2 bis zum Schottentor entsprechend). Sonstige Linien, die einen Teil eines Kreises beschrieben, tragen die Nummern 1 - 20.
Ein "Sommerbeiwagen", Baujahr 1911, rekonstruiert auf den Stand von 1930. Die ursprünglichen Seitenfensterwände konnten herausgenommen werden, sodass ein "echter" Sommerwagen entstand. Bei plötzlichem Regen konnte eine Plane heruntergelassen werden.
Radiallinien, die stadtauswärts führen, bekamen Bezeichnungen ab Nummer 21, und zwar ab der Ausstellungsstraße im Gegenuhrzeigersinn.
Wenn man sich diesen Aufbau vergegenwärtigt, kann man auch heute noch schnell das ganze Straßenbahnsystem begreifen lernen. Allerdings ist heute die U-Bahn ein so wichtiger Teil im öffentlichen Verkehr, dass man kaum noch zum Ring fährt, um dort umzusteigen.

Seit 1908 gibt es auch ein Tastgitter und einen Fangkorb unter jedem Triebwagen, die bis heute verwendet werden und die das Überfahren von Dingen (oder Lebewesen) verhindern sollen. Am 21. Mai dieses Jahres feierte man das 60jährige Jubiläum von Kaiser Franz Josephs Thronbesteigung. 42000 Schulkinder wurden mit der Straßenbahn zum Schloss Schönbrunn geführt. Da man 967 Schaffner benötigte, kann man annehmen, dass man ebensoviele Wagen hatte. Die Abfertigung des Zuges wurde nämlich von den Schaffnern durchgeführt. Das geschah von hinten nach vorne mit Hilfe einer Ziehleine und einer Dachglocke. Einfache Mathematik ergibt, dass man also bis zu 50 Kinder in einen Wagen zwängte. Bei den offenen Plattformen war es vermutlich Glück, dass damals in den Schulen noch bessere Disziplin herrschte ... Trotzdem muss das damals eine logistische Superleistung gewesen sein.

1911 wurde bei der Oper wegen des starken Verkehrs die erste Doppelhaltestelle eröffnet und 1913 wurde die erste elektrische Weiche verwendet. Letztere blieben bis 1982 durchgehend in Betrieb, die allerletzte sogar bis 1999.


Dieser Triebwagen wurde schon 1901 gebaut, aber auf den Stand von 1930 rekonstruiert. Da man anfangs keine Verglasung auf der Fahrerplattform hatte, musste man später die Fenster schräg einbauen, um genügend Platz für die Fahr- und Bremskurbeln zu haben.

Bedingt durch den ersten Weltkrieg wurden 1914 die ersten Schaffnerinnen ausgebildet. Gegen Ende des zweiten musste man für diesen Dienst sogar Studenten und letztendlich Mittelschüler heranziehen. Ab 1921 gab es schließlich auch einen Einheitstarif auf allen Linien.


Dieser Triebwagen, Baujahr 1913 (Simmeringer Waggonfabrik), wurde auf den Stand von 1920 rekonstruiert. Die K-Typen der Triebwagen waren Langzeitdiener und wurden in der Zeit von 1912 bis 1972 eingesetzt. Natürlich geschahen in dieser Zeit aber etliche Um- und Zubauten.
Der Höchststand an Fahrzeugen wurde im Jahr 1928 erreicht. Da besaß die Gemeinde Wien 1574 Trieb- und 1931 Beiwagen. Die größte Ausdehnung des Streckennetzes erreichte man im Jahr darauf. Da besaß man ein Gleisnetz von 292 km Straßenbahn und 26 km Stadtbahn.

Im Zweiten Weltkrieg wurden 388 Wagen vollkommen zerstört und drei Viertel vom Rest beschädigt. Die Hälfte der Oberleitungen und der Gleise war ebenfalls zerstört worden.

Während des Krieges wurde in Heidelberg eine neue, einheitliche Wagentype hergestellt, die sogenannten KSW (Kriegsstraßenbahnwagen), von denen auch Wien einen Teil erhielt.

Nach der Namensänderung 1942 auf Wiener Verkehrsbetriebe, kam 1949 der Zusammenschluss mit den Stadtwerken, daher waren die Besitzer der Straßenbahnen nunmehr die Wiener Stadtwerke - Verkehrsbetriebe.

1950 kamen die Amerikaner. In New York hatte man zwei Jahre zuvor sämtliche Straßenbahnlinien auf Autobus umgestellt und jetzt standen die "streetcars" dort nutzlos umher. Und nachdem die "Amis" im Krieg viele zerstört hatten, war es jetzt leicht, dafür Absatz zu finden. 52 Wagen wurden gekauft und waren bis 1969 im Einsatz. Ohne Zweifel waren sie sehr modern. Sie hatten Polstersitze statt Bänken aus Holzleisten, die man außerdem durch einfaches Verschieben der Lehne über den Sitz immer in Fahrtrichtung stellen konnte. Selbstschließende Türen verhinderten das Auf- und Abspringen während der Fahrt und Klapptrittstufen erleichterten das Einsteigen. Trotzdem war ihr Aussehen irgendwie "unwienerisch", obwohl sie den traditionellen, weiß-roten Anstrich hatten. Schon als Kind hatte ich eine instinktive Abneigung gegen sie, lange bevor ich von ihrem Ursprung wusste.
Bald zeigten sich auch die Nachteile. Die Wagen waren breiter und konnten daher nur dort eingesetzt werden, wo noch die Gleise der Dampftramway lagen, weil dort der Gleisabstand größer war. Man konnte auch keine Beiwagen anhängen. Die schwer zu bedienende Luftdruckbremse führte außerdem zu überdurchschnittlich vielen schweren Unfällen.

Meinem Gefühl nach passten die "Amis" nicht in Wien - in keiner Weise.


Die KSW (Kriegsstraßenbahnwagen) oder "Heidelberger"
Während des Krieges waren die gelieferten Einheitswagen meist nur in den Remisen gestanden, aber nach dem Krieg brauchte man jedes Fahrzeug. Sie kamen daher - soweit ich mich erinnern kann, hauptsächlich auf den Linien 52 und 58 - bis 1975 zum Einsatz.
Aber sie inspirierten auch die neue Generation der Wagen, die ab 1951 erzeugt wurden. Allerdings waren diese neuen Wagen auch mit erheblichen technischen Neuerungen ausgestattet. Der Aufbaukasten war nicht mehr aus Holz, sondern aus Stahl, und es gab nunmehr elektropneumatische Schiebetüren. Nicht nur die Türkontrolle geschah jetzt auf elektrischem Weg, sondern auch die Wagenabfertigung.


Mit dem 33er - oft eben in dieser Ausführung des Triebwagens - verbindet mich eine wichtige, persönliche Erinnerung. Ich mochte etwa 8 Jahre alt gewesen sein, als ich mit meiner Mutter heimfuhr und in der Klosterneuburger Straße die Straßenbahn nahm. Auf der Einstiegseite waren die Türen während der Fahrt immer offen. Ich sprang auf das Trittbrett, bevor der Wagen noch stand - und fiel prompt wieder hinunter. Als Draufgabe bekam ich von meiner Mutter noch eine Ohrfeige - einer dieser schnellen, aus dem Handgelenk - zusammen mit der Erklärung, dass, wäre hinter der Straßenbahn ein Auto gekommen, ich überfahren worden wäre. Natürlich heulte ich, jetzt aus doppeltem Grund, auch noch als wir schon in der Straßenbahn saßen. Gegenüber saß eine Dame, die sich darüber entsetzte, dass man ein Kind geschlagen hatte. Zwischen den Tränen sah ich sie an und sagte trotzig: "Meine Mama kann mich erziehen, wie sie will."
Ich hatte wohl eingesehen, dass ich die Ohrfeige "verdient" hatte ... Außerdem brachte mir diese Loyalität wieder Pluspunkte meiner Mutter gegenüber, die nach dem Aussteigen murrte: "Und wenn Du schon so dumm bist, dass Du glaubst, auf- oder abspringen zu müssen, dann mach es wenigstens in der Fahrtrichtung."

Im November 1951 fuhr der erste Straßenbahnzug mit Leuchtstoffröhren, ab 1952 gab es Elektro-Kupplungsdosen, Schienenbremsen und Scherenstromabnehmer (siehe Bild des KSW) statt einfachen Bügeln (siehe Bild der Linie 33). Und nicht zuletzt gab es jetzt auch Wagenheizungen. All diese Neuerungen erforderten selbstverständlich eine umfangreiche Aufrüstung auch des alten Wagenbestandes.


Feste Sitze für die Schaffner im Großraumwagen
Die revolutionierende Neuigkeit nach dem Krieg wurde jedoch erst auf der Herbstmesse 1953 vorgestellt, nämlich der Großraumwagen, der am 22. Mai 1954 auf Jungfernfahrt ging und heute noch immer die Szene beherrscht. Während sämtliche Triebwagen bisher in beiden Richtungen bedienbar gewesen waren, konnte der Großraumwagen nur mehr in einer Richtung verkehren. Das bedeutete, dass man jetzt auch die Möglichkeit hatte, einen festen Sitz für den Schaffner einzubauen, der bisher im Wagen vor- und zurückgehen musste, um die Fahrscheine zu kontrollieren. Das wieder bedeutete, dass man jetzt den Einstieg am Wagenende benutzen musste, um am Schaffnersitz vorbei zu kommen. Mir klingt heute noch das falsche "Rückwärts einsteigen!" in den Ohren, das anfangs in jeder Station ausgerufen wurde. Man stelle sich vor, wenn alle Fahrgäste diesem Aufruf Folge geleistet hätten und mit dem Gesäß zuerst eingestiegen wären ... Andererseits bin ich überzeugt davon, dass die meisten Wiener zwischen "rückwärts" und "hinten" gar nicht unterscheiden konnten. Mit der Zeit gewöhnte man sich aber daran, hinten einzusteigen und war stolz darauf, jetzt eine funktionelle und moderne Straßenbahn benützen zu können.


Bis heute einzigartig in Wien - das Vertrauen in die Fahrgäste
1957 bekam die Straßenbahn eigene Verkehrssignale und im Jahr darauf den ersten Gelenktriebwagen, dem seinerseits im folgenden Jahr ein Sechsachser folgte, der auch unter dem Gelenk zwei Achsen hatte. Die Gelenkwagen war en auch eine Abhilfe gegen den Personalmangel unter dem man Anfang der Sechzigerjahre zu leiden hatte. Aus diesem Grund ging am 1. Dezember 1964 auch der erste schaffnerlose Beiwagen in Betrieb. Bei den Türen gab es jetzt Druckknöpfe zur Selbstbedienung, wenn man aussteigen wollte, und einen Entwerter, in dem man die Fahrscheine selbst "zwicken" konnte. Das heißt, seit drei Jahren zwickte man nicht mehr, sondern auch die Schaffner stempelten die Fahrscheine. 1971 ging man dann überhaupt zum Einmannbetrieb über.

Anfangs musste man Einzelfahrscheine noch beim Fahrer kaufen, später gab es hinter dem Fahrersitz einen Fahrscheinautomaten. Natürlich wird es bei diesem relativ freien System immer wieder Leute geben, die "schwarz" fahren, andererseits sollte gerade das Vertrauen dazu beitragen, dass man es nicht tut.

Für die Betreiber ist die Ersparnis an Personal sicher groß genug um einen gewissen Ausfall ausgleichen zu können - für die Fahrgäste aber trägt dieses System dazu bei, dass die Abfertigung schneller geht (man kann überall aus- und einsteigen) und das Gedränge im Auffangraum vor dem Schaffnersitz fällt weg. Es ist also für alle Beteiligten ein Gewinn - und sollte für den Rest der Welt ein Vorbild sein. Am 22. Dezember 1978 fuhr der letzte "offene" Triebwagen, der auch noch einen Holzaufbau hatte, als Verstärkung von der Börse nach Nußdorf und wurde dann am Währinger Bahnhof eingezogen. Seit 1995 gibt es wegen Markierungsschwierigkeiten auch "die Blaue" nicht mehr. Die Blaue war auf jeder Linie der letzte Zug des Tages und war vorne und hinten blau markiert.
Die vorletzte Generation moderner Großraumwagen in einem modernen System


Anlässlich des 50jährigen Jubiläums der EU (Verträge von Rom) feiern auch die Wiener Linien mit - hier mit der Europa-Bim
1995 war auch das Jahr, in dem die bisher letzte Generation der Straßenbahnwagen das Licht der Welt erblickte. Es sind dies die Niederflurfahrzeuge, auch ULF genannt, nach dem englischen Ausdruck "Ultra Low Floor". Diese Garnituren sind in ihrer modernsten Fassung in 6 Gliedern bis zu 35 Meter lang und haben im Inneren den ganzen Weg freien Durchgang. Die Fußbodenhöhe beträgt überall nur 18 Zentimenter und kann bei Wagenstillstand noch weiter, bis auf 10 gesenkt werden. Kinderkrankheiten, wie stickige Luft im Sommer, werden verbessert - es gibt schon die ersten Wagen mit Klimaanlangen.

Ab 1999 haben die Straßenbahnen als Anpassung an die EU wieder einen neuen Besitzer, von der Gemeinde freistehend, die Wiener Linien. Es ist nämlich EU-Vorschrift, dass auch andere in- und ausländische Betreiber in Konkurrenz treten können sollen. Diese müssten es jedoch erst schaffen, das zu überbieten, was hier in den letzten gut 100 Jahren geleistet wurde, bevor sie in Wien eine wirkliche Chance hätten ...

Nachtrag: Am 26. Oktober 2008 fällt das klug ausgedachte System der Nummerierung der Linien. Nunmehr gibt es keine Buchstabenbezeichnungen - und die Ringlinien werden nicht mehr im Kreis geführt, sondern werden Durchgangslinien. Schade um die Logik im Aufbau und schade um die Tradition!

copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2007 - 2008


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