DIE ZITADELLE VON DINANT


Das Wort Zitadelle bedeutet soviel wie Bollwerk, Festung, kann aber auch innerhalb einer Festung den am stärksten befestigten Teil bedeuten, die letzte Verteidigungslinie sozusagen. Alle stimmen damit überein, dass das Wort aus den italienischen "citta" = Stadt kommt. Dann gehen die Meinungen auseinenader. Einige sagen, dass es eine Zusammenziehung von "citta ideale" ist, andere wieder - und darunter der Duden - dass es um eine Verkleinerungsform vom altitalienischen "cittade" ist und daher "kleine Stadt" bedeutet.
Dinant ist eine Stadt mit etwa 13.000 Einwohnern, die an der Maas liegt, in der belgischen Provinz Namur. Dinant, dessen Name schon um 800 vor Christus entstanden sein soll, lag auf dem wichtigen Handelsweg von Köln nach Paris und hatte daher eine strategische Bedeutung. 1040 wurde die erste Burg an dieser Stelle errichtet. Nicht zuletzt war Dinant aber eine reiche Stadt, berühmt für ihre Kupferschmiede. Kein Wunder, dass sie oft umfochten wurde und die Zitadelle ein wesentlicher Bestandteil der Stadt war.
Es führen zwar ein bisschen mehr als 400 Stufen vom Stadtzentrum zum Eingang der Zitadelle, aber man kann es einfacher haben und die Seilbahn nehmen. Von der Seilbahn aus hat man einen guten Überblick über die Stadt und auch auf die Stiftskirche Notre-Dame, die direkt unter der Zitadelle auf dem Hauptplatz von Dinant steht.
Wenige Minuten später befindet man sich auf dem Innenhof der Zitadelle. In der Information kann man einen Orientierungsplan bekommen, der den Besuchern eine Nummernfolge vorgibt, wie das Gebäude am besten zu besichtigen ist. Von hier aus kann man entweder auf eigene Faust einen Rundgang machen (die einzelnen Räume sind mit erklärenden Tafeln gut beschildert) oder an einer - sehr netten und interessanten - Führung teilnehmen, die etwa 45 Minuten lang dauert.
Es geht erst zur Großen Galerie, einem langen Gang, von dem links und recht Schießscharten durch die zwei Meter dicken Mauern gehauen waren.
Diese dienten auf der einen Seite dazu, den Gegner vom Überqueren der Brücke über die Maas zu hindern und natürlich ebenso zu vermeiden, dass jemand den Steilhang oder die Stufen erklettern konnte. Auf der anderen Seite des Ganges dienten sie zum Schutz der Zugbrücke, die den Eingang bewachte. Von dieser ist heute aber nichts mehr zu sehen, ebenso wenig wie von dem vormaligen Graben im Vorhof. Am Ende der 150 Meter langen Galerie lag die Pulverkammer, wo man sich mit neuer Munition eindecken konnte.
Dahinter gibt es noch drei kleine Säle, mit Zeittafeln, die je ein einschneidendes Ereignis der Zitadelle behandeln. Früher stand in jedem Raum eine Kanone, die die Maasbrücke unter Feuer nehmen konnte. Dabei hatten die Verteidiger den Vorteil, dass ihre Kanonen schwerer waren und somit bei gleich großen Kanonenkugeln eine längere Schussweite hatten, als die der Angreifer. Diese mussten ja transportiert werden, wobei das Gewicht natürlich eine bedeutende Rolle spielte. An der Decke des Ganges sieht man kleine Stalaktiten, die gebildet wurden, als der Rauch der Geschütze mit dem Kalkstein reagierte und so Salpeterablagerungen schuf. Diese ihrerseits wurden wieder verwendet um neues Schießpulver herzustellen.
In der ersten Kammer müssen wir mehr als 500 Jahre zurück gehen. Die Herzöge von Burgund hatten schon damals versucht, die siebzehn Provinzen zu vereinen, die den Grundstein für das heutige Belgien und die Niederlande bilden.
Allein das Fürstentum Lüttich, in dem sich Dinant befand, konnte nichteinmal mit Waffengewalt bezwungen werden. 1466 wurden die Stadt und die Burg deshalb vom Burgunderherzog Karl dem Kühnen geplündert. Dabei ließ er auch 800 Bürger, zwei und zwei an einander gebunden, in die Maas werfen. (Ob das sehr kühn war?) Stadt und Festung (1523) wurden aber wieder aufgebaut und 1577 entstand die lange Treppe, die vom Stadtzentrum hinaufführt. Die alte Burg wurde zwar verstärkt und auch bequemer gemacht, aber als Verteidigungssystem war sie veraltet gegen die neuen Waffen des 17. Jahrhunderts.
In den nächsten Jahrhunderten wurde das heutige Belgien zum Tummelplatz für kriegswütige Herrscher. Die zweite Kammer zeigt das Ende des 17. Jahrhunderts an. Da war es der "Sonnenkönig", Ludwig XIV, der die Stadt belagern und 1675 schließlich besetzen ließ. Er ließ aber auch die alte Ritterburg in eine Festung umbauen, die sogar den neuen Kanonen trotzen konnte. Der Frieden von Rijswijck bedeutete jedoch, dass sich die Franzosen zurückziehen mussten. Freundlicherweise zerstörten sie die Stadt und die Festungsanlagen vor ihrem Abzug 1698. Der Gouverneur von Dinant schrieb in einem Brief an Ludwig XIV:
"Majestät, ich stelle fest, dass beim Abbruch dieser Festungsstadt keine Zeit verloren geht. Sie soll so sehr bis auf den Grund zerstört sein, wie Ihre Majestät es nur wünschen können."
Im 18. Jahrhundert fielen die Franzosen mehrmals in die österreichischen Niederlande (die in etwa dem heutigen Belgien entsprechen) ein, wurden aber immer wieder zurückgedrängt. Schließlich eroberte Napoleon das Gebiet, das allerdings - nach dem Fall dieses Größenwahnsinnigen - vom Wiener Kongress den Vereinigten Niederlanden zuerkannt wurde. Die Niederländer bauten nun zwischen 1818 und 1821 die Zitadelle in Dinant in ihrer heutigen Form wieder auf, nicht zuletzt um eventuelle neuerliche Angriffe der Franzosen unterbinden zu können.
Diese niederländische Festung wurde nie belagert, sondern 1830 durch belgische Partisanen übernommen, als man in diesem Jahr gegen die niederländische Herrschaft revoltierte und das heutige Belgien gründete.
Danach verlor die Festung immer mehr an Bedeutung, 1868 wurde sie entmilitarisiert und zehn Jahre später sogar öffentlich versteigert.
Allerdings wurde sie in den beiden Weltkriegen abermals Schauplatz verbissener Kämpfe, wovon der dritte und letzte Raum berichtet. Im August 1914 lieferten sich deutsche und französische Einheiten hier ein Gemetzel, das zusammen in eben diesem Saal 70 Tote forderte. Sie liegen heute gemeinsam begraben, unter einem Erinnerungsstein im Vorhof der Zitadelle. Insgesamt fielen in der Woche zwischen 15. und 23. August auf jeder Seite mehr als tausend Soldaten. Welch Wahnsinn!
Jetzt geht es wieder durch die Große Galerie zurück, dann geht es geradeaus weiter, um die Gefängniszellen zu besichtigen. Dort findet man sowohl diverse Torturgeräte, wie auch eine Guillotine. Erst dann biegen wir links ab und gehen über den ganzen Innenhof, um in den westlichsten Teil der Festung zu kommen. Hier hat man eine großartige Aussicht über die Stadt und den Fluss, die sich ganze einhundert Meter unter uns befinden.
Am Rückweg vom Aussichtspunkt passiert man drei Zellen, in denen Szenen aus dem frühen 19. Jahrhundert nachgebildet sind, nämlich eine Schmiede, eine Küche und eine Bäckerei. In der nächsten Kammer stehen etliche, teilweise verwitterte Holzpfähle. Das scheint nichts Besonderes zu sein. Erst wenn man weiß, dass diese Pfähle schon bald tausend Jahre alt sind, bringt man ihnen ein wenig mehr Achtung entgegen.
 
Sie stammen nämlich von der allerersten Holzbrücke, die im Jahr 1080 über die Maas geschlagen wurde. Als man 1952 die heutige Brücke baute, holte man diese Fundierungspfähle aus dem Wasser und stellte sie hier auf. Dadurch, dass sie sich im Schlamm unter Wasser befunden hatten, waren sie so gut erhalten geblieben.
Im nächsten Saal werden wieder drei wichtige Ereignisse der Stadt mit Bild und Text illustriert. Zuerst sieht man, wie der Fürstbischof von Lüttich, Heinrich III von Gueldre, im Jahr 1255 den Bürgern der Stadt eine Charta überreicht. Sie ermächtigte die Stadtbewohner Kupfer und andere Metalle zu verarbeiten - und legte damit den Grundstein für den Wohlstand von Dinant. Die Berühmtheit des Kupfergeschirrs war so groß, dass es sogar einen eigenen Namen bekommen hatte - Dinanterie.
Das zweite Ereignis spiegelt wieder die Plünderung Dinants durch Karl den Kühnen im Jahr 1466, über die wir schon gesprochen haben. Die letzte Erinnerung gilt dem feierlichen Einzug eines anderen Fürstbischofs von Lüttich, nämlich Ernst von Bayern, der im Jahr 1582 die wiedererblühte Stadt besuchte.
Im letzten Raum sehen wir eine Kutsche aus dem 17. Jahrhundert. Sie wurde von der Marquise de Maintenon verwendet, als sie damals die Stadt besuchte. Die Marquise de Maintenon war aber auch nicht irgendwer, sondern die heimliche Gemahlin des Sonnenkönigs.
Danach geht es in die Waffenkammer, wo diverse Stichwaffen, wie Säbel und Bajonette gezeigt werden, nicht zuletzt aber Schusswaffen und deren Entwicklung durch die Jahrhunderte - vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg.
Als Abschluss der Besichtigung hat man sich etwas besonders Interessantes einfallen lassen. Zunächst geht es zu einer Darstellung der Schützengräben aus dem Ersten Weltkrieg, dann aber kommt eine völlig unerwartete Sensation.
Im Zweiten Weltkrieg krepierte eine Bombe in der Nähe eines Bunkers der Festung, die den Bunker seitlich ein Stück abrutschen ließ. Man hat die Stelle saniert, aber die Lage des Bunkers beibehalten, sodass die Treppe und der Boden in Schieflage wiedergegeben sind. Dort das Gleichgewicht zu halten ist noch schwieriger als in diversen "lustigen Häusern" der Vergnügungsparks, wo man ebenfalls über schiefe Ebenen gehen muss.
Sie sollten sich für eine Besichtigung der Zitadelle von Dinant Zeit nehmen, wenn Sie einmal in diese Gegend kommen.

copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2011


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last update: 14.7.2011 by webmaster@werbeka.com