Im Europaviertel von Brüssel


Wenn man bei der Metrostation Schuman aussteigt und die Treppen hinaufgeht, steht man plötzlich unvermutet vor dem Berlaymontgebäude, der juristischen Abteilung der Europäischen Kommission in Brüssel. Das Gebäude ist enorm, es ist unmöglich, es mit einem Bild oder auf einen Blick zu erfassen. Unweigerlich erhebt sich die Frage, wie es denn möglich sein soll, all diese Büros zu koordinieren ... Und trotzdem ist es nur eines der Verwaltungsgebäude im Europaviertel in Brüssel, ein kleiner Teil der Verwaltung der gesamten Europäischen Union.
Und dann kommen gleich weitere Fragen: Schuman? Berlaymont? Kommission?

Robert Schuman wird manchmal als "Vater der EU" bezeichnet. Daher wurde die Metrostation nach ihm benannt. Er hat hier, vor dem Berlaymont auch einen Gedenkstein aufgestellt bekommen. Er war, obwohl in Luxemburg geboren, französischer Ministerpräsident und Außenminister. Als solcher war er eine treibende Kraft hinter der Montanunion, auch Kohl- und Stahlunion genannt, die 1952 von den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und Deutschland gegründet wurde. Grundgedanke bei Schuman war aber schon, eine europäische Gemeinschaft zu erschaffen, um in Europa Frieden zu garantieren. Zusammen mit Jean Monnet wird er als geistiger Urheber eines vereinten Europas gesehen.

Der Name Berlaymont stammt von einer Schule der Augustiner. Die "Damen von Berlaymont" besaßen hier früher eine Mädchenschule. Als man zwischen 1963 und 1967 das Gebäude errichtete, übernahm man einfach den alten Namen.
Die Europäische Kommission soll die Beschlüsse des Ministerrats und des Parlaments durchführen. Die Kommission hat außerdem das Recht, Vorschläge auszuarbeiten und vorzulegen. Die 27 Kommissionare (je einer pro Mitgliedsstaat) sollten überstaatlich sein und daher die Interessen der Gemeinschaft und nicht die ihres Nationalstaates wahrnehmen.
Man sieht überall Reportageteams, die vor dem Hintergrund eines der EU-Gebäude ihre Berichte für die Nachrichtensendungen daheim sprechen. Ich habe sogar eine spanische Reporterin gesehen, die ihre Kamera ganz allein auf das Berlaymont eingerichtet und dann davor ihre Sendung aufgenommen hat.
Hier besteht das Team aus drei Leuten - irgendwie erinnert mich das an die Seifenkistenredner vom Hyde Park in London. Sie haben das Gebäude des Europäischen Rats als Hintergrund und stehen auf der Wetstraat, oder Rue de la Loi auf Französisch, was passenderweise "Straße des Gesetzes" heißt ...
Diese Straße trennt das Berlaymontgebäude vom Haus des Europarates. Der Vorsitz im Europarat wird halbjährlich gewechselt, sodass alle Mitgliedsländer der Reihe nach den Vorsitz führen. Das Land, das den Vorsitz hat, hat auch das Recht, die Eingangshalle dieses Gebäudes zu schmücken. In der ersten Hälfte von 2009 ist die Tschechische Republik zum ersten Mal an der Reihe.
Dass man mit der Ausschmückung im Inneren keinen guten Griff getan hat, können Sie hier nachlesen. Dass man außerdem mit der Geographie Europas nicht ganz vertraut ist, zeigt der schematische Überblick an der Frontseite. Die internationalen Länderkürzel zu verwenden, mag ja eine recht nette Idee sein, aber wenn schon, dann bitte richtig.
Dass man Portugal im Südwesten von Spanien ansiedelt mag ja noch durchgehen, aber wieso ist denn Malta südöstlich von Italien? Und Dänemark nordöstlich von Großbritannien? Aber von den Proportionen in Nordeuropa wollen wir überhaupt ganz schweigen. Dafür grenzt Luxemburg an Österreich ...
Ich will ja nicht unnötig meckern, aber wenn man schon ganz Europa vertreten soll, dann könnte man sich auch mit solchen Kleinigkeiten ein wenig mehr Mühe geben.

Ich habe volles Verständnis dafür, dass es rigoroser Sicherheitsmaßnahmen bedarf, um in ein solches Gebäude zu kommen. Daher ist es wohl unumgänglich, dass Handtaschen und übriges Gepäck gescannt werden und dass man durch einen Metalldetektor gehen muss. Aber das System trägt leider nicht dazu bei, den einzelnen Mitbürger fühlen zu lassen, dass er ein Teil des Ganzen ist.

Gleich neben dem Haus des Europarats ist eine große Baustelle. Die wachsende EU braucht natürlich immer mehr Platz für die Bürokratie. Schon im Jahr 1965 (im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft) arbeiteten 3200 Kommissionsbedienstete, verteilt auf 8 verschiedene Gebäude, in diesem Viertel. Die Gegend hieß ursprünglich Leopold-Viertel, es war eines der ersten Gebiete außerhalb der Stadtmauern von Brüssel. Aber heute hat sich der Name Europaviertel immer mehr eingebürgert, weil hier immer wieder große Gebäudekomplexe entstehen, die von der EU verwendet werden.
Brüssel hätte übrigens zur Zeit der EG die Chance gehabt, damals schon sämtliche Organe hier zu vereinen, aber sie wurde nicht genutzt. Daher sind heute auch Straßburg und Luxemburg offizielle Sitze der EU. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass man hierzulande (auch ganz offiziell) die EU als normale Weiterentwicklung der EG betrachtet, während man im Ausland die EU eher als eigenständige Organisation sieht.

Konferenzen und Kongresse zu arrangieren, gehört auch zu den Aufgaben der EU.

Die Frage, die sich hierbei aber stellt, ist, ob es tatsächlich so wichtig ist, dass die gemeinsamen Gelder für "Farm Animal Welfare" und Ähnliches verwendet werden. Verstehen Sie mich bitte richtig. Ich mag Tiere und natürlich soll jedwedes Leiden von ihnen abgewendet werden - aber das kann doch auch eine Frage der nationalen Regierungen sein, das muss doch nicht an allerhöchstem Ort abgehandelt werden. Da gibt es doch sicher wichtigere Fragen.
Ein anderes Beispiel für die Fragwürdigkeit der Organisation ist das Europäische Jahr 2009, das der Kreativität und Innovation gewidmet ist. Wussten Sie das? Ich nicht. Ich bin auch überzeugt davon, dass die allermeisten Bürger der EU davon keine Ahnung haben. Noch dazu, wenn die Webseite jetzt, Mitte März, noch immer verspricht, dass die französische, deutsche, spanische, italienische, polnische, tschechiche und schwedische Version der Seite in Kürze erscheinen wird ... Das ist doch lächerlich. Das sollte doch schon vor Beginn des Jahres fertig gewesen sein.
Noch dazu, da es einen Wettbewerb gibt, mit Einsendeschluss 31. März, gerade in drei Wochen. Man muss also Englisch können, um daran teilzunehmen. Auf diese Art ist das nur unser Geld, das hier von ein paar Nichtskönnern verschwendet wird.

Und weil ich schon beim Jammern bin: vor dem Berlaymont weht die europäische Fahne mit den 12 Sternen. Aber - ich habe das mehrmals nachgezählt, weil ich es nicht glauben konnte - es wehen dort 28 Fahnen. Und da frage ich mich, für welches Mitgliedsland wohl die 28. Fahne ist?

Gleich neben dem riesigen Berlaymont, auf der anderen Straßenseite, wie überhaupt in der Umgebung, gibt es noch die alten Gebäude, meist im Jugendstil, die einen gewaltigen Kontrast bilden. Wenn ich ehrlich sein soll, dann gefällt mir dieses alte, natürliche Milieu viel besser - aber ich sehe auch ein, dass die Zeiten sich verändern. Heute haben sich viele Restaurants in den alten Häusern angesiedelt, um den Touristen, aber nicht zuletzt auch ihren Abgeordneten, heimische Küche bieten zu können. Neben spanischen, griechischen und skandinavischen Restaurants kann man englische und irische Pubs besuchen und noch viele andere.
Auch Hotels haben sich den Bedingungen blendend angepasst ... Es gibt hauptsächlich Einzelzimmer, die Preise dafür sind aber astronomisch. Ein ganz gewöhnliches Hotel in der Gegend verlangt 325 Euro pro Nacht, aber außerdem als "Congress Rate" 360 Euro. Doppelzimmer gibt es erst gar keine, doch das Frühstück kostet stolze 21 Euro. Den Kongressteilnehmern wird das weniger Rolle spielen, für die meisten bezahlen wohl auch wir die Unkosten via Spesenabrechnung.

Mein Bericht mag sich ziemlich negativ lesen, aber eigentlich bin ich ein Befürworter der EU.

Wenn man die europäische Geschichte betrachtet, dann findet man wohl hundert- und dreißigjährige Kriege, aber ganz bestimmt keinen hundertjährigen Frieden, kaum dreißigjährige im gesamten Europa. Das geringere interne Kriegsrisiko innerhalb der EU ist allein schon viel wert. Können wir, statt Nationalismus zu hegen, trotz unser aller Unterschiede Europäer werden, dann ist noch mehr gewonnen. Der Euro ist, trotz diversen Klagen über Verteuerungen, ein ganz wichtiger Faktor für Europa in der Weltwirtschaft. Der innere Markt ist sicher auch für die Privatwirtschaft von Vorteil und die offenen, innereuropäischen Grenzen, sowie das Recht, arbeiten und leben zu dürfen, wo man will, sollte doch im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein.

Kann man dann einen Weg finden, statt vielen starrköpfigen nationalen Politikern und unbegabten übernationalen Bürokraten vernünftig denkende Menschen in die Führungsschichten einzuschleusen, ist noch mehr gewonnen. Führt das alles dann dazu, dass das Geld der Mitbürger nicht mehr in unnötige oder sogar verrückte Projekte fließt, dann nähern wir uns schon Utopia. Aber bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.


Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009



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