Der Große Markt (Grand Place)


Der "Grote Markt" war und ist das Herz von Brüssel. Mitten in der Stadt belegen, wurde hier schon im 15. Jhd. das Rathaus erbaut. Heute ist jedoch die Bezeichnung "Grand Place" international viel weiter verbreitet. Ich persönlich habe etwas gegen die französische Bezeichnung; waren es doch die Franzosen, die im Jahr 1695 den Großen Markt in Schutt und Asche legten. Heute dagegen hört es sich an, als ob dieses wunderbare Stück Stadt ein französischer Verdienst wäre ...

Innerhalb von ein paar Jahren, noch vor der Jahrhundertwende, hatten die Bewohner von Brüssel (die damals keine Franzosen waren), die Gebäude wieder aufgebaut, mehr oder weniger so wie wir sie heute noch sehen. Der Statthalter der spanischen Habsburger war zu dieser Zeit Maximilian Emanuel II von Bayern. Er wollte die Stadt beim Wiederaufbau modernisieren, aber die Handwerkergilden waren zu dieser Zeit noch tonangebend im Stadtgeschehen und hatten daher großen Einfluss auf die Bauwerke.
Die Gilden besaßen außerdem das Monopol in ihrer Sparte. Sie verteilten eingehende Arbeiten unter ihren Mitgliedern und setzten auch die Preise für die verschiedenen Leistungen. Die Handwerker waren natürlich gezwungen, ihrer respektiven Zunft beizutreten, wenn sie Arbeit bekommen wollten. Das wieder verschaffte den Gilden große Macht. Im Lauf des 18. Jhd. verloren die Zünfte aber immer mehr Einfluss und wurden etwa zur Zeit der französischen Revolution ganz abgeschafft.
Im 19. Jhd. musste eines der Häuser, "der Stern", am Großen Markt dem Stadtneubau geopfert werden. 1852 wurde es abgerissen, um die Straße verbreitern zu können. Aber 1897 ließ Bürgermeister Karl Buls den Oberbau auf Arkaden wieder errichten. Als Dank dafür wurde die Sternstraße in die Karl Bulsstraße umgetauft.
Der Stern, gleich links neben dem Rathaus, war das Haus, in dem der Vetreter des Herzogs von Brabant residierte.
Der "Schwan" liegt neben dem "Stern", wie aus dem hervorragend gearbeiteten Hauszeichen hervorgeht. Dies war seit 1720 das Haus der Fleischhauer. Von ihnen wurden die Figuren am Dach erbaut, die die Metzgerei, den Überfluss und die Landwirtschaft darstellen.
An dem Haus sind auch zwei Tafeln angebracht. Die eine besagt, dass Karl Marx hier den Sylvester zum Jahr 1848 verbrachte, während er (1845 - 1848) in Brüssel lebte.
Die andere Tafel weist darauf hin, dass hier am 5. und 6. Mai 1885 die belgische Arbeiterpartei gegründet wurde.
Das nächste Haus, der "Goldene Baum" gehörte den Brauern. Oben steht mit goldenen Buchstaben "Maison des Brasseurs". Das ist Geschichtsverfälschung, denn beim Wiederaufbau des Hauses muss der Text in Flämisch oder in Latein geschrieben gewesen sein. Die französische Version kam erst am Anfang des 20. Jhd. dorthin.
Oben auf dem Dach steht ein Reiterstandbild, das ursprünglich Maximilian Emanuel II von Bayern darstellte, später aber durch Karl von Lothringen ersetzt wurde.
Auch zu dieser Statue gibt es eine Erzählung im Volksmund. Man verdächtigte den ursprünglichen Maximilian Emanuel, Ehebruch begangen zu haben. Er aber zeigt mit der Hand auf Sankt Bonifatius, der auf dem "Goldenen Boot" steht, um diesem die Schuld zuzuweisen. Sankt Bonifatius seinerseits zeigt auf den Sankt Nikolaus, der am Dach des Krämerhauses abgebildet ist. Sankt Nikolaus schließlich zeigt auf niemand, sondern schaut verlegen auf die drei Kinder zu seinen Füßen ...
Auf dem Haus der Brauer faszinieren auch die vergoldeten Ornamente der Säulen, sowie deren Abschluss in einem korinthischen Kapitell. Hier ist übrigens passenderweise das Brauereimuseum untergebracht.
Wenn wir die Gebäude am Großen Markt weiter nach links verfolgen, kommen wir zur "Weißen Rose", und zum "Berg Thabor", auch die "Drei Farben" genannt. Das waren Wohnhäuser.

Geflügel und Blumen werden heute noch auf dem Großen Markt verkauft, aber das ist natürlich nur ein schwacher Abklatsch aus früheren Zeiten, als man hier und in den Zufahrtsstraßen im Prinzip alles kaufen konnte, was zum Leben benötigt wurde. Aber kein Wunder - hier liefen alle großen Handelswege der Umgebung zusammen, von Paris nach Köln und Antwerpen und von Brügge nach Namur - von hier aus gab (und gibt) es große Städte in allen Himmelsrichtungen.

Blumen, übrigens. Jedes zweite Jahr (mit geraden Zahlen) wird auf dem Großen Markt ein Blumenteppich ausgelegt, der den ganzen Platz bedeckt. Dies geschieht immer in der Woche um den 15. August, der in Belgien, wie in den meisten katholischen Ländern, ein Feiertag ist.
Die gesamt Ostseite des Großen Marktes wird vom "Haus der Herzöge von Brabant" eingenommen. Der Name kommt nur daher, dass die Büsten der neunzehn Herzöge an der Wand des ersten Stockwerks zu sehen sind. Hinter der Fassade, die erst beim Wiederaufbau erschaffen wurde, stehen nämlich nicht weniger als sieben Häuser. Vier davon sind Wohnhäuser, die anderen gehörten verschiedenen Gilden. Die Bildhauer, Steinmetze, Maurer und Schieferbrecher gehörten derselben Zunft an und hausierten im "Hügel". Die Müller waren natürlich in der "Windmühle" zu finden, während sich die Zimmermänner und die Wagenbauer den "zinnenen Topf" teilten.
Gehen wir weiter nach links, sehen wir eine Gruppe von sechs Gebäuden. Hier gibt es zunächst ein Wohnhaus, den "Hirschen", sowie "Josef und Anna", ein doppeltes Wohnhaus unter einem Giebel. Danach folgt "der Engel", noch ein Privathaus, dessen Besitzer Jan de Vos Porzellanhändler war. Daneben steht das "Goldene Boot", das durch die Zusammenlegung eines Grundstücks mit der früheren "Mühle" entstanden war. Beide waren schon vor der Zerstörung im Besitz der Zunft der "Neuen Kleidermacher". Sie wählten diesen Namen, um sich von den "Altekleiderkäufern" zu unterscheiden, die gebrauchte Kleider zum Verkauf anboten.
Die zwei Schutzheiligen der Zunft der Kleidermacher verzieren ihr Haus. Über dem Eingang gibt es eine Büste der Hl. Barbara und auf dem Dach steht der St. Bonfatius (der auf den St. Nikolaus zeigt) und hält eine Tafel mit einer großen Kleidermacherschere.
Die "Taube", die links anschließt, war bis 1695 das Zunfthaus der Maler. Dort hatte man aber kein Geld für den Wiederaufbau, sondern verkaufte den Grund an Pieter Simon, einer Privatperson. Victor Hugo war hier 1852 zu Gast (wie auch in der "Windmühle") und schrieb einen Teil seiner Werke.
Ganz links schließlich steht noch ein Privathaus, nämlich das des Industriellen Cornelius Mombaerts, der Fayencewaren produzierte. Das Haus hatte mehrere Namen, zum Beispiel zum "Goldenen Kaufmann" oder das "Wappen von Brabant".

Links von dieser Gruppe und dem Rathaus gegenüber steht das "Brothaus". Auf Französisch heißt es "Maison de Roi", obwohl kein gekröntes Haupt hier je gewohnt hat.

Das Brothaus gab es schon im 13. Jhd. - für die wichtigsten Lebensmittel und für die Tuchhändler wurden nämlich Hallen gebaut - das erste Tuchhaus wird schon 1221 erwähnt - der Rest wurde unter freiem Himmel verkauft. Frei übrigens: der Freitag war ein "freier" Tag, an allen anderen Tagen mussten die Händler dem Herzog einen Obolus bezahlen, um ihre Waren feilbieten zu dürfen.

"De Broodhuis" war im Jahr 1625 von Erzherzogin Isabella mit zwei Aufschriften versehen worden. "A peste, fame et bello, libera nos, Maria Pacis" (Bewahre uns vor Pest, Hungersnot und Krieg, Maria des Friedens). Die Zweite Aufschrift war ein Chronogramm, in dem die Großbuchstaben die Jahreszahl angeben, wenn man sie zusammenzählt: "hIC VotUM paCIs pUbLICae eLYsabet ConseCraVIt" (Elisabeth hat hiermit der Bitte um allgemeinen Frieden Pflicht getan). Wenn U gleich V ist und Y gleich I, dann ergibt das die Zahl 1625.

Zur Gildenzeit war das "Brothaus" im Besitz von Schützen. Das Haus wurde aber 1860 Eigentum der Stadt und wurde zwischen 1873 und 1885 vollständig renoviert. Damals erhielt es auch sein heutiges Aussehen. Vorbild war das Rathaus von Oudenaarde, das im frühen 16. Jhd. erbaut wurde. Daher kommt der spätgotische Stil des Gebäudes. Der Turm ist mit vier Potentaten geschmückt - den Herzögen Heinrich I, sowie Jan I, Maria von Burgund und Kaiser Karl V. Auf Elisabeths Beschriftung legte man in der liberalen Zeit von damals keinen Wert mehr.

Links vom Brothaus steht eine Reihe von Wohnhäusern, der "Helm", der "Pfau", der "Samariter", der auch der "Kleine Fuchs" genannt wird, der "Eyck", die "Hl. Barbara" und schließlich der "Esel".

Damit kommen wir zur Westseite des Großen Marktes, wo nur Gildenhäuser zu finden waren.

Wir beginnen mit dem "König von Spanien", dem Zunfthaus der Bäcker. Die Bäcker hatten ihr altes Haus in der Guldenhoofdstraat verkauft, um sich am Wiederaufbau des Großen Marktes beteiligen zu können. In der anschließenden Boterstraat (Butterstraße) erbauten die Bäcker noch weitere Gebäude, die mit dem "König von Spanien" zusammenhingen.
Warum "König von Spanien"? Nun, zur Zeit des Wiederaufbaus standen die spanischen Niederlande noch ein paar Jahre unter der Herrschaft der spanischen Habsburger, bis Karl II im Jahr 1700 ohne Nachfahren verstarb. Deshalb huldigte man diesem König mit einem Brustbild in der Höhe des zweiten Stockwerks.
Unter ihm werden zwei Gefangene dargestellt, ein Indianer und ein Türke. Der Indianer symbolisiert die Kolonialisierung der Neuen Welt, während der österreichische Teil der Habsburger im Jahr 1683 den Türken auf ihrem Vormarsch durch Europa bei Wien Einhalt gebot.
Es gibt auch hier ein Chronogramm mit dem Text: "Die Bäcker erschufen diese Siegestrophäe, die zeigt, wie Karl II ruhmreich triumphierte". Die lateinischen Großbuchstaben verweisen hier auf das Baujahr - 1697. Außerdem gibt es vier Medaillons römischer Kaiser, die wohl ein Vorbild für Karl sein sollten: Marc Aurel, Nerva, Decius und Trajan.
Über dem Eingang gibt es eine Büste des Schutzheiligen, St. Aubertus, der aber eher ein sehr lokaler Schutzheiliger war. Auf dem Dachgesims stehen die Figuren von Herakles, Demeter, Boreas, Hestia, Poseidon und Athene, von links nach rechts gesehen.

Links von Spaniens König steht der Schubkarren, das Haus der Fetthändler, der Milchproduzenten und der Händler von Federvieh. Am Giebel gibt es eine Nische, in der St. Ägidius steht, der Schutzheilige der Fetthändler. Das Haus hat zwei Tore, wovon eines ins Haus führt und das zweite in eine Sackgasse hinter dem Haus.

Das nächste Haus ist der "Sack". Es ist das Gildenhaus der Tischler, Schreiner und Fassbinder. Seit dem 16. Jhd. wurden die Möbel oft mit exotischem Edelholz verkleidet oder verziert, das aus den Kolonien eingeführt wurde, was den Schreinern neue Arbeitsaufgaben erschuf.
Die Giebel des Schubkarrens und des Sacks stammen aus der Mitte des 17. Jhd. Zusammen mit dem Giebel des nächsten Hauses, der "Wölfin", haben sie nämlich die Zerstörung von 1695 einigermaßen unbeschädigt überstanden. Die Giebelspitzen jedoch waren nicht zu retten gewesen. Die neue Spitze des "Sacks" ist nach einem Entwurf von Antoon Pastorana entstanden.

Die "Wölfin" steht links vom "Sack" und gehörte den Bogenschützen des St. Sebastian. Das Relief über der Eingangstür stellt die Wölfin dar, die die Gründer Roms, Romulus und Remus mit ihrer Milch aufgezogen haben soll. Im zweiten Stock stehen vier allegorische Gestalten, die mit Inschriften erklärt werden. Es sind dies die Wahrheit und die Falschheit, der Frieden und die Zwietracht.

Im dritten Stock gibt es, wie im "König von Spanien" die Medaillons von vier römischen Kaisern, die mit je einem Symbol mit den Allegorien verbunden sind. Trajanus und eine strahlende Sonne stehen für die Wahrheit, Tiberius und ein Vogelkäfig mit einem Netz für die Hinterhältigkeit, Augustus und eine Erdkugel für den Frieden (Pax Romana) und Caesar mit einem gebrochenen Herzen und gekreuzten Fackeln für die Zwietracht.
Im Giebeltympanon tötet Apoll die Python. Im 17. Jhd. waren die Schützengilden meistenteils zu geselligen Vereinen für das Bürgertum geworden. Vermutlich wollte man mit der Ausschmückung des Hauses dem entgegenwirken und betonen, dass man nicht nur in der antiken Geschichte bewandert war, sondern auch, dass man so tapfer war, wie die antiken Helden.
Aber auch der goldene Vogel Phoenix, der sich ganz oben am Giebel aus seiner Asche erhebt, hat Symbolismus. Im Jahr 1690 war das alte Gildenhaus der Schützen abgebrannt. Kaum wieder aufgebaut, wurde es 1695 von der französischen Artillerie wieder in Schutt und Asche gelegt. Das Chronogramm, das auf das Jahr 1696 hinweist, bedeutet ungefähr: "Verwundert Euch über die Tatsache, dass ich mich ein drittes Mal aus der Asche erhebe, glorreicher als je - ich bin der Vogel Phoenix.
Aber der Wiederaufbau hatte der Gilde ihr letztes Geld gekostet - die Schützen mussten es verkaufen und waren später gezwungen, in ihrem "eigenen" Haus Miete zu bezahlen.
Das nächste Haus ist das "Horn". Es war das Haus der Schiffer. Der Giebel ist eine Kopie des Heckaufbaus eines Schiffes zu jener Zeit. Über der Kapitänskajüte ist ein Medaillon von Karl II und darüber sein Wappenschild mit der Kette der Ritter des Goldenen Vlieses.

Das letzte Gildenhaus am Großen Markt ist der "Fuchs". Es gehörte den Kaufleuten und den Händlern. Im ersten Stock stehen die Statuen von vier Kontinenten (Australien war zu dieser Zeit ja noch nicht entdeckt worden). Afrika wird durch eine Negerin dargestellt, Europa hält ein Füllhorn in der Hand, Asien hat Weihrauch und Elfenbein als Attribute und Amerika Gold. Zwischen den Statuen steht Justitia mit einem Bindel vor den Augen sowie einem Schwert und einer Waagschale in der Hand. Über der Justitia steht der Wahlspruch der Kaufleute: pondere et mesura. Das bedeutet etwa: Ausgewogenheit und Maß.

Oben am Giebel finden wir den schon früher erwähnten Sankt Nikolaus, den Schutzheiligen der Kaufmänner.

Dann gibt es natürlich auch noch das Rathaus, das mit seinem 96 Meter hohen Turm den Großen Markt dominiert. Aber damit diese Seite nicht zu lang wird, bitte ich Sie, dem obigen Link zu folgen.

Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009


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